Mittwochabend
ich sitze im Auto auf dem Weg zum Retroplane-Treffen. Der Doppelraab
liegt hinter mir im Kofferraum und wartet nun auf seinen Erstflug. Hektisch
waren die letzten Wochen. Neben Familie, Haus und Arbeit ist so ein
aufwändiges Modell halt nicht mal schnell gebaut. Neun
Monate sind es am Ende geworden.
Mitte 2005 las ich im Forum von RC-Line den Hinweis auf eine französische
Internetseite, die ausschließlich Bauberichte von Oldtimer-Segelflugmodellen
beinhaltet und dessen Autor Vincent Besançon hieß. Ich
konnte mich an den fantastischen Modellen nicht satt sehen. Schließlich
schlug mein Herz schon immer für die alten Segelflugzeuge. In meiner
Kindheit sah ich auf dem Segelflugplatz im Nachbarort Bergfalke,
Rhönlerche, Ka-8 und Ka-6 fliegen
sonst nichts. Schnell fand ich im Forum mit René Gärtner
auch einen Gleichgesinnten und wir beschlossen, den Doppelraab
aus Vincents Galerie zu bauen. Das Internet sollte als Austauschplattform
in Form eines Onlinebauberichtes genutzt werden. Ziel war es auch, an
dem in der Bretagne am Ménez-Hom stattfindenden Retroplane-Treffen
teilzunehmen. Vater dieser Veranstaltung ist wiederum Vincent Besançon.
Sein Doppelraab hatte in den französisch sprechenden
Ländern einen derart großen Erfolg, dass die Idee entstand,
die Erbauer des Modells zu einem Treffen zusammenzurufen was
mit Retroplane 2005 am Pick Vissou in Südfrankreich geschah. Zugelassen
wurden außer dem Doppelraab auch noch alle Nachbauten
alter Segelflugzeuge aus Holz. GFK-Rümpfe sind zugelassen, so sie
denn selbst hergestellt wurden. Das Treffen hat keinen Wettbewerbs-Charakter,
sondern soll alle Modellflieger, die ein Faible für Oldtimersegler
und Hangfliegen haben, zusammen bringen, um ein Wochenende mit Fliegen,
Diskussion und gemütlichem Zusammensein zu verbringen.
Gut, nun war ich also unterwegs, gespannt darauf, was mich da erwartet.
Trotz der schlechten Wettervorhersage hoffte ich, nicht enttäuscht
zu werden. Aber zuerst einmal kam ich nach einer eher kurzen Nacht am
Donnerstagnachmittag am Ménez-Hom in dichtem Nebel und Nieselregen
an. Einige Unverbesserliche waren gerade am Zusammenpacken. Einer von
ihnen war, wie sollte es auch anders sein, Vincent Besançon.
Wir kamen sofort ins Gespräch. Der Einladung zum Kaffee folgend,
fuhren wir zum Campingplatz am Strand und führten unsere Diskussion
über Treffen und Flugzeuge weiter. Nach und nach trafen auch weitere
Teilnehmer ein, darunter Leute wie Piere Delrieux, der in Frankreich
seit Jahren bekannt für eine Vielzahl von Bauplänen und Berichten
von Oldtimersegelflugzeugen ist. Außerdem ist er Präsident
des ausrichtenden Modellflugklubs MAC17. Auch Michele Leroyer aus Brest
gehörte zum Organisationsteam, dessen Ortskenntnisse am Ménez
während des Meetings so einige Piloten vor dem Absaufen retteten.
Michele war letztendlich auch für eines der außergewöhnlichsten
Modelle des Treffens verantwortlich: Als Mitglied der in Brest ansässigen
Organisation La Barque Ailée, animierte er seinen
Freund Bernard Ducloyer zum Nachbau des Albatros, dessen
Ursprung auf die Geschichte des beflügelten Bootes
und dessen Erbauers Jean-Marie Le Bris zurückgeht. Le Bris, Kapitän
der Marine und beteiligt an vielen Rettungsaktionen zur See, war überzeugt,
dass ein flugfähiges Boot für küstennahe Rettungseinsätze
wesentlich besser geeignet wäre als ein Schiff. Also machte er
sich an die Konstruktion eines Bootes mit Flügeln der Barque
Ailée die, auf einem Pferdeanhänger gezogen,
1856 einen ersten kurzen Flug vollführte. Dadurch ermutigt, beantragte
er 1857 das Patent. Bei einem Flugversuch von den Klippen der bretonischen
Küste wurde die Barque Ailée jedoch zerstört
und Le Bris brach sich das Bein. Dieser Rückschlag brachte Le Bris
in starke finanzielle Nöte. Er nahm erst mehr als zehn Jahre später
sein Projekt wieder auf, indem er den Albatros konstruierte.
Von der Öffentlichkeit unbemerkt machte der Albatros
mehrere unbemannte Flugversuche an den Stränden der Bretagne am
Fuße des Ménez-Hom, durch Pferde gezogen und wie ein Drachen
gelenkt. Später wurde er bei einem Flug zerstört und Le Bris
enttäuscht durch den Misserfolg und am Ende seiner finanziellen
Möglichkeiten gab auf, ging in Rente und wurde kurze Zeit
später ermordet.

Jacques van de Sype mit seinem Spalinger S18 II. Das
Modell hat 4,2 m Spannweite, wiegt 7 kg und wurde nach einem Plan (MVM
Nr. 30) von M.H. Agniel gebaut.

Der Doppelraab des Autors bei seinem Erstflug. Mit 3,5
kg und 2,55 m Spannweite ein Schwergewicht unter den Doppelraab-Modellen.
Fliegen kann er trotzdem gut
Bernard konnte aufgrund der Bedingungen
seinen Albatros leider nicht fliegen. Aber schon die Vorführung
am Boden war beeindruckend: Aufbauzeit etwa eine Stunde, Steuerung wie
im Original über Verdrehen der Flächen und des Leitwerkes
und der Pilot macht schön alle Bewegungen der Steuerknüppel
mit. Am Sonntagmorgen erhielt Bernard Ducloyer auch einen Wanderpokal,
übereicht durch den Präsidenten der Association de Vole
à Voile Francaise, Sylvère Maisse. Dieser Pokal
wird von nun an in Frankreich jährlich an Modellbauer vergeben,
die zur Erhaltung des Erbes historischer Segelflugzeuge beitragen.
Kommen wir zum Retroplane-Treffen: Eigentlich wollte ich ja den Donnerstag
und Freitag zum Hangtraining nutzen. Doch daraus wurde nichts, da dummerweise
das Wetter genau das gemacht hat, was vorhergesagt war. Aber zum Glück
traf die Vorhersage auch auf den Samstag zu. So konnte das Treffen pünktlich
um 10 Uhr bei einem wolkenlosen und strahlend blauem Himmel eröffnet
werden. 45 Teilnehmer hatten sich online eingeschrieben, 36 waren letztendlich
mit etwa 50 Flugzeugen dabei. Die Franzosen waren natürlich klar
dominierend. Aus dem Ausland waren ein Tscheche, ein Pole, ein Irländer,
einige Belgier und Schweizer sowie René und ich aus Deutschland
angereist. Im Durchschnitt hatten alle Teilnehmer mindestens 1.000 km
Anreise. Nach dem Einschreiben, der Senderabgabe und der Begrüßung
war durch den südwestlichen Wind das Fliegen am Hang kaum möglich.
Einige Unverbesserliche, die es trotzdem versuchten, mussten ihre Flugzeuge
fast alle einige Meter weiter unten wieder abholen. Michele Leroyer
stellte sich hier als absoluter Ménez-Experte heraus und half
so manchem die Wegstrecke zu verkürzen oder auch den besten Außenlandeplatz
zu wählen.
Was die Flugzeuge betrifft, gab es so ziemlich alles, was das Oldtimersegler-Herz
begehrt. Das Treffen beschränkte sich nicht auf die bekannten Typen
wie Ka-6 und Ka-8 ganz im Gegenteil!
Im Mittelpunkt stand natürlich der schon erwähnte Albatros.
Dann waren da auch einige Spalinger
S 18 II, die durch ihre Flügelform etwas an Minimoa
& Co. erinnern. Es handelt sich dabei um einen in den 30er
Jahren von dem Schweizer Jakob Spalinger entworfenen Segler mit 14,3
m Spannweite. Grundlage für den Bau des 4,2-m-Modells war ein Plan
von H.M. Agniel aus der französischen MVM-Modellbauzeitschrift.
Das Flugbild ist einfach genial. Jacques van de Sype führte sein
Modell perfekt vor. Nicht nur, dass er es alleine startete. Seine Flüge
und vor allem seine Landungen waren schlichtweg perfekt.

Jacques Andrés Chapeau Durand. Eine Besonderheit
dieses Modells sind die als Querruder ausgelegten Abstrebungen

Damit fing alles an: der Doppelraab von Vincent Besançon
|

Ganz schön was los!
Die beiden
deutschen Teilnehmer René Gaertner (Mitte) und der Autor (rechts)
mit dem Veranstalter und Vater von Retroplane: Vincent Besançon
(links)

Bernard Ducloyer und sein
Albatros. Ein Eigenbau nach dem Vorbild von Jean Marie
Le Bris, ganz aus Holz und Messingrohr
Der Vormittag war nun rum, der Wind hatte noch immer nicht gedreht.
Das Organisationskomitee beschloss somit den Umzug zum Petit Ménez,
zwar wesentlich weniger gut geeignet zum Fliegen, aber zumindest erlaubte
er bei dieser Windrichtung, dass man überhaupt fliegen konnte.
Bis zu diesem Augenblick hatte ich immer neidisch auf die schönen
großen Oldtimer geschielt. Doch jetzt sollte der Augenblick
kommen, wo ich um die Handlichkeit meines kleinen Doppelraab
beneidet wurde. Allerdings stellte auch ich schnell fest, dass die
unhandlichen 3,5 kg plus restlicher Ausrüstung nach 20 Minuten
Fußmarsch mit Schlussanstieg auch ganz schön schwer sein
können. Oben angekommen, wurden wir jedoch durch einen perfekt
auf dem Hang stehenden Wind belohnt und sofort wurden die ersten Modelle
ihrem Element übergeben. Zwar musste auch hier Michele Leroyer
des Öfteren zu Hilfe eilen um die drohende Außenlandung
zu verhindern, aber kein Vergleich mehr zum Vormittag. Selbst die
kurzfristig angereisten Plu-Brüder mit ihren 20 kg schweren Waco-Lastenseglern
ließen zumindest einen davon ins Tal schweben, der dann allerdings
auch wieder hoch getragen werden musste.
Gegen Abend gab es dann wie sollte es auch in Frankreich anders
sein auf dem Anhänger von Pierre Delrieu einen Aperitif
mit Cidre, Champagner und Rosé sowie Knabberzeug. Danach verließen
die Teilnehmer langsam den Hang, fanden sich aber zum Teil in kleinen
Diskussionsgruppen am Campingplatz wieder zusammen.
Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Nachdem ich allen Mut zusammennahm,
den Respekt vor Wind und Hang etwas unterdrücken konnte, ließ
ich dann doch am Abend meinen Doppelraab hinauswerfen.
Und siehe da, mein etwas übergewichtiges Modell flog und
gar nicht schlecht. Allerdings war ich so aufgeregt, dass ich alle
Grundsätze des Hangsegelns vergessen hatte und dann eine etwas
unsanfte Landung unterhalb der Hangkante hinlegte.
Am Sonntagmorgen wurden wir wieder mit Nieselwetter überrascht,
trafen uns also in der Festveranda des Campingplatzes. Bernard bekam
seinen Pokal durch Sylvère Maisse übereicht. Die anderen
Teilnehmer bekamen jeder zwei schöne T-Shirts mit Retroplane-Logo,
ein Servo und ein wunderschönes, von Vincent handgemachtes Sockelmodell
aus Holz, dessen Detailtreue verblüffen konnte. Manche Teilnehmer
durften sich noch über weitere Geschenke freuen, die im Losverfahren
ermittelt wurden.
Nach einem weiteren Aperitif (Ja, wir sind in Frankreich!)
zwischenzeitlich ließ sich auch die Sonne blicken ging
es dann wieder zum Ménez hoch. Diesmal stand der Wind perfekt
und so konnte am Westhang ohne Einschränkungen geflogen werden.
Der Wind war so gut, dass Vorbeiflüge in kürzester Entfernung
ohne Probleme geflogen werden konnten. Was für ein Bild, diese
herrlichen Segler zum Greifen nahe vorüberfliegen
zu sehen.
Gegen 17 Uhr war das große Verabschieden angesagt. So mancher
hatte noch eine lange Strecke vor sich. An dieser Stelle möchte
ich dem Organisationskomitee sowie den ganzen Sponsoren nochmals ausdrücklich
danken. Ohne ihren persönlichen Einsatz, beziehungsweise deren
finanzieller Unterstützung wäre ein Treffen in dieser Form
nicht möglich. Besonderer Dank gilt vor allem dem Modellbauklub
MAC17 und dem Vorsitzenden Piere Delrieux, Michele Leroyer vom Modellklub
Brest und letztendlich den beiden Menschen, auf deren Energie und
Ideen Retroplane beruht: Vincent Besançon und seiner Frau.
Wenn nur irgendwie möglich, sind wir 2007 wieder dabei. Vielleicht
schließt sich ja der eine oder andere deutsche Modellbauer noch
an. Wer eine entspannte und freundschaftliche Atmosphäre ohne
Wettbewerbsdruck sucht, Oldtimersegelflugmodelle und Hangsegeln bevorzugt,
der ist bei Retroplane genau richtig.
Stephan Siemund
Fotos: Vincent und Joelle Besançon
Die Slingsby T31
von Olivier Hemon, gebaut nach einem Plan von Piere Delrieux (3
m Spannweite, 2,7 kg Fluggewicht)
Benoit Baradon und die
Brüder Plu reisten mit ihren Waco-Lastenseglern
an (4,5 m Spannweite, 20 kg). Der Start war zwar Schwerstarbeit,
einmal in der Luft flog das Modell jedoch ganz passabel. Aufgrund
der schwachen Bedingungen schaffte es allerdings keine Landung auf
dem Plateau also wieder Schwerstarbeit beim Hochtragen
|